Was ist und was geschieht

Der hundertvierunddreißigste Abt stellte die Ordnung im Kloster wieder her, indem er auf den Entwicklungsstand der Schüler Rücksicht nahm.

"Sage nicht: ,Ich bin‘, sondern: ,Ich geschehe‘, so wirst du der Wahrheit näher kommen. Sage nicht: ,Hier ist ein Apfel‘, sondern: ,Hier geschieht ein Apfel‘, ganz, wie du sagen würdest: ,Hier geschieht eine gute Tat‘, oder: ,Hier geschieht ein Mord‘. Ein Apfel ,ist‘ nichts prinzipiell anderes als, sagen wir, eine Überraschung oder ein Autounfalll oder eine Geburt. Was wir für Dinge halten, sind Ereignisse. Unser Irrtum kommt daher, daß diese Ereignisse langsamer vor sich gehen als andere. Solange wir die Reife nicht haben, hilft es uns, uns in der Welt zurechtzufinden, daß wir zwischen verschiedenen ,Dingen‘ unterscheiden. Doch gilt es einzusehen, daß der Begriff vom ,Ding‘ der Wahrheit nicht gerecht wird. Ihr mögt die Unterscheidung für eine Spitzfindigkeit halten. Doch sind mit dem Begriff ,Ding‘ noch andere fehlerhafte Begriffe verbunden, die uns in die Irre führen. Viele meinen, sie könnten Dinge ,haben‘. Daß man einen Vorgang nicht ,haben‘ kann, ist viel leichter einzusehen. Wie willst du einen Tanz ,haben‘? Du tanzt, das geschieht. Man sagt zwar: ,Ich hatte einen Unfall‘, doch kann jeder leicht einsehen, wie unsinnig das ist. Ebenso, wenn du die ,Dinge‘ als Vorgänge erkennst, wird dir klar, was es mit den sogenannten ,Eigenschaften‘ auf sich hat. ,Ist ein Apfel süß, der nicht gegessen wird?‘ fragte der fünfzehnte Abt einst. Ich würde nicht sagen, daß er süß ist. Zur Not könnte man von einem Apfel, der nicht gegessen wird, sagen, daß er Zucker enthält. ,Süß‘ aber ist ein Erlebnis, das dir geschieht, wenn du einen Apfel ißt. Was dabei geschieht, ist einfach, daß der Tanz des Apfels - oder der Tanz des Zuckers im Tanz des Apfels - den Tanz deiner Zunge durchdringt, beeinflußt, verändert, beziehungsweise den Tanz deiner Geschmacksnerven, deiner Gehirnzellen, den gesamten Tanz, den du ,ich‘ nennst. ,Süß‘ ist keine ,Eigenschaft‘, die der Apfel ,hat‘, sondern das Verschmelzen zweier Vorgänge, zweier Tänze, von denen wir den einen ,Apfel‘ nennen und den anderen ,Mensch‘.

Der Blitz fährt in einen Baum. Der Baum beginnt zu brennen. Der Regen löscht den Brand. Wir können das drei Vorgänge nennen, um uns zu verständigen. Wir können aber auch leicht einsehen, daß es sich um einen Vorgang handelt. Von Vorgängen sind wir gewohnt zu akzeptieren, daß sie ineinander übergehen, miteinander verschmelzen. Von Dingen glauben wir, daß sie getrennt bleiben, starr sind. Wenn wir lernen, die Dinge als Vorgänge zu betrachten, werden wir leichter erkennen, wie sie ineinander übergehen, miteinander verschmelzen. Wir werden sehen, daß die Welt, das All, ein Einziges ist, ein einziger Vorgang."