Die Tiere

Das Kloster wurde unter dem achtundzwanzigsten oder neunundzwanzigsten Abt von der Erde anderswohin verlegt. Damals war der zweiunddreißigste Abt noch ein Schüler. Später, als er alt war, erzählte er:

Wir merkten es erst, als die Marder kamen. Die Marder kamen damals von den Stadträndern in die Vorstädte, von den Vorstädten in die inneren Bezirke. In den Nächten konnte man ihre schlanken, pelzigen Gestalten unter den Autos dahinhuschen sehen, von einem Auto zum anderen, immer Deckung suchend. Sie kamen, um sich unter die warmen Motorhauben zu legen, und sie knabberten Kabelisolierungen an. Langsam eroberten sie sich einen neuen Lebensraum in der Stadt. Unter den Autos konnten sie sich wärmen, in den Kellern konnten sie Jagd auf Mäuse machen, auf den Dächern Taubeneier ausschlürfen und junge Vögel erbeuten.

Damals fiel es uns auf, daß sich etwas zu verändern begann. Die Tiere konnten sich nirgends hin mehr zurückziehen. Sie wurden von der Stadt, den Straßen, den Autobahnen immer enger zusammengedrängt. Also ließen sie sich überrollen und suchten ihr Leben hinter der Front zu fristen. Aber sie veränderten sich dabei.

Ratten und Tauben hatten sich auch verändert. Sie waren zu Zerrbildern der Menschen geworden. Die Felstauben, die zu Stadttauben geworden waren, waren ein ständiger Hohn auf die Menschen. Die dümmliche Frechheit, mit der sie sich überall breit machten, bedenkenlos überall ihre Spuren hinterlassend, feige aufflatternd, wenn ihnen etwas zu nahe kam, und im nächsten Moment auf demselben Fleck sich wieder niederlassend, um da hinzuscheißen; ihre von ständigem Streit erfüllte Geselligkeit - all das war eine Karikatur menschlichen Verhaltens. Doch wir merkten den Hohn der Evolution nicht und fütterten die Viecher auch noch und fanden sie romantisch.

Doch die eigentlichen Beherrscher der Städte waren die Ratten. Intelligent und bösartig, getrieben von unstillbarer Eroberungssucht, drangen sie in jeden Winkel, paßten sich an alle Bedingungen an, waren fähig, in jedem Dreckloch zu leben, im Kanal, im Eiskeller, im Heizungsschacht, auf Schiffen, in Eisenbahnwaggons. Die Ratten, die Artgenossen mit fremdem Nestgeruch gnadenlos zu Tode peinigen, haßten wir und verfolgten wir, weil sie uns zu ähnlich waren. Aber unsere Verfolgungen machten sie nur schlauer und zäher. Auch die Ratten kennen, wie wir, Aufopferung und Heldenmut, und unsere vergifteten Köder töteten nur die todesmutigen Vorkosterratten, deren qualvolles Ende den übrigen die tödlichen Eigenschaften unserer Köder verriet.

Nach den Mardern kamen die Füchse. Sie fraßen zur Erde gefallene Jungvögel, Mäuse, und stöberten die Essensreste der Menschen aus den Abfalltonnen. Da wir die Rotröcke erschlugen und abschossen, wo wir sie fanden, hatten wir sie bald zu einer Rasse asphaltgrauer, in der Dämmerung schleichender Aasfresser umgezüchtet. Sie schleppten die Tollwut in die Städte, und die Hysterischen unter uns gingen nach Sonnenuntergang nicht mehr zu Fuß durch die Stadt.

Der Zuzug der Marder und Füchse vermehrte auch bald die Krähen, die sich vom Aas der durch unsere Köder vergifteten Tiere nährten.

So wucherte auf dem Nährboden unserer Abfallhaufen ein gieriges, leichenfresserisches Leben.

Einige meinten, die Natur hole sich nun die Städte zurück. Doch das war nicht so. Denn das waren nicht mehr die Marder und Füchse der Wälder. Die Schnecken und Würmer in den Kläranlagen waren andere als die in den Tümpeln von früher. Die Falken, die in den Lüftungsschächten nisteten, die Olme, die durch die Kanalgitter schlüpften, sie alle waren bleiche, graue oder schwarze Geschöpfe geworden, von der Farbe des Asphalts, des Rauchs, des Betons und des Schlamms.

Sie holten die Stadt nicht zurück in den Wald. Sie nährten sich von dem, was wir ausschieden. Sie waren vollkommen abhängig geworden von uns, Parasiten wie die Mäuse, die Ratten, die Möwen, die Tauben. Sie konnten ohne unseren Dreck nicht mehr leben, und würden mit uns untergehen. Nur die Ratten würden überleben, denn die überleben alles.