Die Säulen

Auch der siebente Abt liebte die Gleichnisse:

An einer Küste standen einst Säulen aus Erz, mächtige Säulen, so hoch wie Berge. Wenn der Wind durch sie strich, begannen sie ein leises Summen hören zu lassen. Sie zitterten und bebten dabei, wie ein Mensch, der Fieber hat.

An gewissen Abenden aber, wenn nach einem weißglühenden Tag die Sonne im Meer versank, erklangen sie in einem mächtigen, ruhigtönenden Akkord, der jedes Denken verstummen ließ. Wer den Klang hörte, war sich, solange er dauerte, sonst keines Dings auf der Welt bewußt, nur dieses Klanges.

Fremde, die in die Gegend kamen, fragten, ob der Klang denn beglückend sei oder angenehm oder erfreulich. Doch die Menschen, die den Klang kannten, konnten darüber keine Auskunft geben. "Neben diesem Klang", sagten sie, "gibt es nichts anderes. Weder Trauer noch Freude, weder Schmerz noch Glück. Auch niemand, der solches empfinden könnte. Denn wer den Klang hört, weiß auch nichts mehr von sich."

Wer diese Säulen errichtet hatte, wußte niemand zu sagen. Niemand konnte sich ein Wesen denken, mächtig genug, ein solches Werk zu schaffen. Sie seien immer schon dagewesen, hieß es.

Später fiel diese Gegend an ein mächtiges Reich. Der Herrscher des Reiches befahl, die Säulen abzutragen. Sie würden die, die sie hörten, den übrigen Bürgern entfremden und sie dadurch dem Reich gefährlich machen. Außerdem würden die Bewohner der Gegend wertvolle Zeit gewinnen, wenn sie an den Sommerabenden nicht mehr in Vergessen erstarrten.

Das Reich zerfiel allerdings bald wieder, und die Gegend geriet wieder an den Rand des Weltgeschehens. Die Geschichte der Säulen wurde zu einem belanglosen Kindermärchen, an das kaum noch wer glaubte und das nur noch in Fremdenverkehrsprospekten wiederholt wurde.