Maschinen

»Sollen wir die Insekten also den Maschinen zuordnen? Diese törichte Idee liegt mir fern.« Unerbittlich läuft zwar das Räderwerk des Instinkts ab, ist es einmal in Gang gesetzt. Doch verfügt das Insekt auch noch über einen inneren Wegweiser, ein Unterscheidungsvermögen. Das dient nicht nur dazu, die Situationen zu erkennen, die das instinktive Verhalten auslösen. In gewissem, beschränktem Maß sind die Tiere imstande, zwischen günstigen und weniger günstigen Nistplätzen, besserem und schlechterem Futter, passendem und weniger passendem Baumaterial und so weiter. zu unterscheiden, Entscheidungen zu treffen. »Die Spinnentöterin baut ihre Zellen aus bereits aufgeweichter Erde, aus Schlamm. Hier haben wir es mit dem Instinkt zu tun, dem unveränderbaren Merkmal dieser Bauarbeiterin. Sie hat stets so gebaut und wird immer so weiterbauen. (...) Dieses Nest aus Schlamm braucht Schutz vor dem Regen. Zunächst genügt der Schlupfwinkel unter einem Stein. Doch sollte sich dieser Töpfermeisterin etwas Besseres bieten, ergreift sie davon Besitz und siedelt sich in der Wohnung des Menschen an. Hier haben wir es mit Unterscheidungsvermögen, mit der Spur einer gewissen Möglichkeit, sich zu vervollkommnen, zu tun.« Die Spinnentöterin legt für ihre Larven einen Vorrat von Spinnen an. Nichts kann sie dazu bringen, etwa Heuschrecken zu jagen. Doch wenn keine gemeinen Kreuzspinnen, ihre Lieblingsbeute, zu haben sind, kann sie auch andere Spinnentiere jagen. »Inmitten einer riesigen Vielfalt an Beute vermag die Jägerin zu unterscheiden, was ein Spinnentier ist und was nicht; auf diese Weise sieht sie sich in die Lage versetzt, ihre Familie stets zu versorgen, ohne den Bereich ihres Instinkts verlassen zu müssen.« Die Mauerbienen verwenden als Unterkunft für ihre Nachkommenschaft üblicherweise leere Schneckenhäuser, die sie durch Lehmwände in Zellen teilen. Doch konnte der Experimentator sie dazu bringen, in aufgeschnittenen Schilfrohren, ja in Glasröhrchen ihre Nester zu bauen. »Um sich in der Vielfalt der verschiedenen äußeren Umstände zurechtzufinden, besitzt die Mauerbiene das geringe Maß an Unterscheidungsvermögen, das ihr ermöglicht, trocken und feucht, solide und zerbrechlich, geschützt und gefährdet zu erkennen, das weiter die vorgefundenen Schlupfwinkel für annehmbar oder nicht annehmbar befindet und die Wohnungen nach Umfang und Form des verfügbaren Platzes verteilt. (...) Die Mittel des Tiers sind innerhalb sehr enger Grenzen doch leicht elastisch. Was es uns an Können in einem bestimmten Augenblick zeigt, ist nicht immer der ganze Umfang seiner Fertigkeiten. In ihm ruhen Möglichkeiten, die für bestimmte Fälle in Reserve gehalten werden. Kann sein, daß sie viele Generationen lang niemals angewandt worden sind; doch wenn ein Umstand es erfordert, brechen solche Möglichkeiten jäh auf, ohne jeden vorangehenden Versuch, so etwa, wie der im Stein schlummernde Funke unvermittelt aufblitzt, unabhängig von allen früheren Lichtschimmern.«

Daseinskampf

© 1995 Beltz Verlag, Weinheim